Juline Junge
Unsere Aufgabe als Architekt:innen ist es Space zu erschaffen. Durch die Manipulation und das Spiel mit räumlichen Parametern kreieren wir eine Atmosphäre. Diese wird so entworfen, um alle Sinne des menschlichen Körpers anzusprechen. Erst durch das intuitive Handeln des menschlichen Körpers wird aus einem Space ein Place.
Im Rahmen des Seminars SPACE + BODY = PLACE untersuche ich diese Abfolge in umgekehrter Reihenfolge. Beginnend mit WHAT werden alle auftretenden Sinneseindrücke und Gefühle, die ein Ort hervorruft, erfasst. Danach wird der Ort in HOW auf seine räumlichen Parameter untersucht. Zuletzt wird in WHY eine Begründung für diese räumlichen Parameter gefunden, in Bezug auf die Zeit der Erbauung, die geografische Lage oder anderen Einflüssen auf den Ort.
LOSGELÖST ist frei von Erwartungen meines bisherigen Architekturverständnisses und konzentriert sich darauf, den für mich neuen Ansätzen Raum zu geben und mich unvoreingenommen auf den Prozess einzulassen.
A visit to the Maria Regina Martyrum memorial church in Berlin, built in 1963 by architects Hans Schädel and Friedrich Eber…
WHAT
UNSICHER
Ich öffne die Tür. Stille. Leise Geräusche einer Gruppenführung. Kerzengeruch. Darf ich ein Foto machen oder ist das zu laut? Das Schreiben auf Papier unterbricht die Stille und wird plötzlich so laut wie nie zuvor. Ich höre kurz auf mit Schreiben um die totale Ruhe zu genießen. Wie lang halte ich die Stille aus? Ich erstarre. Ich richte meinen Blick auf die Mitte. Kaum Tageslicht. Durch die Türen dringt weiches Licht. Ich werde wieder Richtung Foyer geleitet.
HOW
ABGESCHIEDENHEIT
Hinteres Zimmer, ganz unscheinbare Lage unter der Treppe. Bewusst erzeugte Abgeschiedenheit. Einziger Raum mit Tür. Dadurch komplette Ruhe. Kerzengeruch und warme Lichtquellen bestärken das Gefühl von Beruhigung. Es gibt keine Fenster oder Öffnungen und so werden mögliche Ablenkungen von Draußen verhindert. Spiel mit dem Licht. Indirekte Lichtquellen. Warme Materialien wie Holz oder vergoldete Mittelwand. Die Zugangstür besteht aus halbdurchlässigen Scheiben und so wird man als Besucher:in auf hellen Vorraum beim Verlassen des Raumes vorbereitet und man kann die neu gewonnene innere Ruhe mitnehmen.
WHY
MARIA REGINA MARTYRUM
Die Kirche Maria Regina Martyrum wurde 1960 bis 1963 als Gedächtniskirche durch Hans Schädel und Friedrich Ebert erbaut. Im rückwärtigen Teil des Gebäudes befindet sich eine Unterkirche. Ein kryptähnlicher Raum mit schwacher Belichtung soll die Verdichtung der Gedenkstätte hervorheben im Kontrast zum monumental entfalteten Außenraum. Es entsteht ein strenger und intimer Gebetsraum. Sie ist eine Grabkirche. Dem Altar sind drei Gräber seitlich zugeordnet. In der Unterkirche wird der frühchristliche Baugedanke des Martyrions wieder aufgegriffen.
ABGESCHIEDENHEIT
WHAT
GEBORGEN
Ich gehe die Treppe nach oben. Ein Becken wird sichtbar. Mein Blick wandert nach links. Ein Saal öffnet sich. Ich fühle mich ganz klein. Warme Atmosphäre. Warme Farben. Geruch von Gewürzen. Geborgenheit. Innehalten. Ich setze mich auf eine der Bänke und je länger ich einfach nur schaue, desto mehr Details werden sichtbar. Spiel aus Hell und Dunkel. Relief der Wand. Licht. Künstlich. Natürlich. Beim Verlassen des Saals fällt mir auf, dass der Geruch verblasst, obwohl es keine bauliche Abgrenzung zum nächsten Raum gab.
HOW
GLEICHGEWICHT
Geruch von Gewürzen. Keine einfache Wand, sondern texturierte Wände. Buntes Schaubild. Warme Farben. Geschwungene Formen. Indirektes Licht hinter dem Schaubild. Warme Materialen. Holzbänke. Lichteinstrahlung von der Decke am Rand. Viel Platz, aber gut ausgefüllt und nicht zu leer.
WHY
MARIA REGINA MARTYRUM
Der Innenraum der Oberkirche ist geprägt vom Symbol des Lebens und des Lichts. Der Raum ist als überirdischer Lichtraum geplant, und dann ist es ferner wieder das Licht, das als sieghaftes Element in dem Altarbild aufleuchtet. Die ganze Wand, die sich hinter dem Altar aufspannt, ist mit dem Thema der Geheimen Offenbarung gestaltet und soll den Raum hoffnungsfroh erscheinen lassen. Das Altarbild ist in seiner Textur, in den Flächenproportionen und in seinem innerbildlichen Raum ein Bestandteil der Architektur des Innenraums.
GLEICHGEWICHT
Der Begriff Architecture as Surrounding aus Peter Zumthor´s Buch “Atmospheres” beschreibt den Versuch, Architektur als menschliche Umgebung zu begreifen. Orte, die zum Teil des Lebens der Menschen werden und Erinnerungen und Gefühle wecken, die die Atmosphäre einst erzeugt hat, und ganz individuell ausfallen.
Ebenso aus Zumthor´s Buch hat der Begriff Surrounding Objects mir gezeigt, dass durch die Nutzer:innen Gegenstände Teil der Architektur und der Atmosphäre werden, die ich als Architektin nicht geplant habe. Die Erkenntnis, dass eine Zukunft für den Ort ohne mich als Planerin existiert, hat mir sehr geholfen, Rücksicht auf die Nutzer:innen zu geben, aber auch die eigentliche Aufgabe für mich als Architektin zu erkennen – Space für Nutzer:innen erschaffen und durch räumliche Parameter eine Atmosphäre kreieren. Aber erst durch die Nutzer:innen und das individuelle Handeln wird aus dem Space ein Place, auf den ich nur bedingt Einfluss habe.